„In eijener Sache“
Ick erspare euch de zwee Weltkrieje, die in den fuffzig Jahren vor meener Jeburt vor allem Proletariern det Leben kosteten nich‘ und nich‘ den ersten sozialistischen Staat, keene Angst.
Aba weil wa diesmal een Jahr „KulturJut“ vollmachen, sing ick ma‘ selba ’n altet Lied: „Und weil der Mensch ein Mensch ist“, und „er will unta sich keene Sklaven sehn und üba sich keene Herrn! Drum links zwo drei.“ Bertolt Brecht und Hanns Eisler 1934. Busch hat det jesung‘. Und Hannes Wader und „Ton, Steine, Scherben“…
Mal Jeschichte von unten nach oben erzählen mit dem Herzenswunsch, det det keen „Oben“ und „Unten“ jebe! Det is‘ der Traum von humanistischen Kopf-Arbeetern und Schreiberlingen. Meen echter proletarischer Kumpel sacht jedenfalls imma: Ihm wäre allet Bockwurst. Aba ’ne Bockwurst is nicht zu verachten!
Wenn ick meina selbst jedenke (*1952), bejann meene eijene Beziehung zum Proletariat, als de Arbeeta und Bauern schon de Macht hatten und meen künftijer Vadder (*1928) erstma‘ nur ’ne bürjerliche Biografie; nach’m zweeten Kriej wara mal Arbeeta in de Forstwirtschaft, und weila noch jung war, krijte er ’n Schein, da stand drinne, „dass er bis 1945 inne Hitler-Jugend war – und ab 1945 inne Antifaschistische Jugend.“ Und weila de Schnauze voll hatte von de Elternjeneration und dem Kriej, hatta seine Biografie mit de Einheits-Partei von
Sozialdemokraten und Kommunisten bereichert. So issa dann in de Agitation und Propaganda des sozialistischen Staates offjestiejn, wat schwer war, denn sein Vadder, also meen künftijer Opa (*1885), Dr. jur., hatte sich im ersten Weltkriej een Koppschuss einjefang‘, den a überlebte; war Amtsrichter in Thüringen, und für de Sozialdemokraten machte er juristische Schulungen bis zu deren Offlösung durch de Nazis. Und Koppschuss und SPD machten ihn unta Hitler frech und fürt System suspekt. Se schoben ihn ins Abseits, und 1944 musste er vorzeitig in den Ruhestand und freiwillig aus der NSDAP austreten, der er als letzter seiner Zunft bejetreten war. Als de bürjerlichen Alliierten Thüringen befreit hatten, schien Opa sojar ’ne politische Zukunft zu haben; als se Thüringen vertragsjemäß an de Sowjetmacht überjaben, wurde mein Opa von een Deutschen denunziert und musste für fünf Jahre nach Buchenwald und noch zwee nach Waldheim, bissa vom ersten und einzjen Arbeeta-Präsidenten Wilhelm Pieck bejnadijt wurde.
Meen Opa mütterlicherseits (*1903) is‘ als jüngster von drei Brüdern ausm Mittelstand in de Arbeeterklasse „abjerutscht“, denn de Stadt Dresden hat de Straßenbahn zum Schloss Pillnitz nich bis Graupa jebaut, und so jing de Rechnung mit det „Café Lohengrin“ nicht off; als meen Uropa ooch noch im Krieje starb, konnten de beeden älteren jerade noch wat in de
Mittelschicht wern, aba Opa musste in de Großbäckerei nach Dresden. Wo er immahin meene Oma kennenlernte, die beim KONSUM lernte! Die kam ausm Proletariat, war aba beseelt
vom sozialen Offstieg! Und se schafften tatsächlich den eijenen „Kolonialwarenladen“! Aba ooch nur bis zum 13. Februar 1945, wo ihnen de Angloamerikaner allet zerbombten.
Aba Arbeeta-Fußball ha‘ ick ooch jespielt. Wat keene Kunst war, denn zu DDR-Zeiten waren alle Vereine Betriebssportjemeinschaften. In de Sechziger. Bei de BSG „Einheit Treptow“,
off’n Lohmühlenplatz, in de Junioren, unta Trainer Papke. Weil meene Kumpels Manne und Benno und Lothar da spielten und ick sonst imma alleene jewesen wäre, wenn se Training oda Spiel hatten.
Mit de abjeschloss’ne Berufsausbildung als Schriftsetzer war ick selber bereits Prolet und folgerichtig Mitglied in de Arbeeta-Partei. Als ick 1970 Schauspieler wern wollte, frachte der
Arbeiter-und-Bauer-Staat nach de „proletarische Herkunft“. Is‘ ja klar, de Arbeeta und Bauern wollten de Macht ja behalten und jestalten, und denn jing det Rumjesuche in de Biografie los. Jelandet bin ick nach’m Studium denn im sozialistischen Mittelstand als anjestellter Schauspieler am Staatstheater in Lichtenberg: – det aba der Staat aus der Jeschichte des
Proletariats entstand, ha‘ ick nie vajessen! Und det in de DDR ’ne Idee von Jesellschaft und ’ne jesellschaftliche Praxis jab und wir dazwischen mit de Realität jespielt ham, off de Bühne und imma wieda vasucht ham zu beschreiben, wie jroß de Differenz sein kann, hat Sinn und Spaß jemacht; uns und de Zuschauer (meist) ooch!
Aba de volkseigene und nicht an der privaten Jewinnmaximierung orientierte Wirtschaft hielt den Wünschen ihrer Werktätigen nich stand. 48 Prozent wählten am 18. März 1990, bei de
letzten Volkskammerwahl der bürjerlichen Allianz für Deutschland (CDU, DSU, DA). War det Problem damals, det de Sozialpolitik de Wirtschaft übaforderte, isset heute so, det sojar Bürjerliche bangen, det de Politik de Marktwirtschaft wieda einkricht, die sich selbstständig jemacht hat. Aba det is keene Vision, det is ’n Drama. Und een janz altet Lied.
Meint euer
Heli Lichtstral
13. Februar 2012