Die alte Frau im 3. Hinterhof ward vergessen. In all den kläglichen Jahren, in all den Dekaden der Selbstoptimierung sind die Rentner nun der Schnee von gestern: einst gehörten jene den Generationen von Schaffenden an; dahingeschmolzen mittlerweile (108 Milliarden Menschen bevölkerten übrigens bisher den Blauen Planeten) gestalteten jene mehr oder weniger aktiv Gesellschaft und lebten ihr Leben so selbstverständlich wie die heute Jungen. Sobald die Alten jedoch abseits der Alltäglichkeit ihre Müdigkeit bemerken und aus dem Tagesgeschäft herausfallen, sind sie vergessen. Höchstens, wenn sie Glück haben, fühlen sich ihre Kinder und Kindeskinder noch etwas verantwortlich und möchten, wenn es vorher eine Beziehung schon gab, noch hören oder gar helfen. Diese Kohorten unserer Ahnen schieben wir wie eine Bugwelle vor uns her; die meisten sind schon da, wo die Meisten sind. Und die auch nicht Wenigen, die noch atmen, verschwinden mit all ihren Erfahrungen aus unserem Dunstkreis und denken sich für bald: „Unter jedem Grabstein liegt eine Weltgeschichte“ (Heine). Können wir nicht wissen.
Nun, die alte Frau betritt höchst selten die Höfe und alle Berliner Kinderchen, mit all ihrer natürlichen Garstigkeit und Zerstörungswut ausgestattet, murmeln, wenn sie denn mal an die frische Luft gelangen, entsetzt: „Wer ist das? Die sieht ja aus wie die Hexen aus unseren Fantasy-Filmen…“ Tja, jüngst begab es sich, dass ein alter Kohlenhändler in der Gegend zugange war; der hörte die abfällig-ängstlichen Bemerkungen und gab unumwunden preis: „Das? Ha, das ist Omi Kron und die war schon immer da, ihr Rotznasen!“ Zitternd stoben alle auseinander und nur ein kleiner Trupp, angeführt von Traktorist Timur vom Bersarin-Platz, blieb aktiv und versorgte weiterhin die Grand Dame mit Nahrung und Zuwendung. Zum Lohn gebot ihnen jüngst dann Omi Kron: „Jungs, nu is oochma jut, jeht doch päppeln. Von mir aus nach Westend, wa!“
Also begab es sich, dass eine weinrot gewandete Boxhagener Mannschaft bei den Löwen derer aus Britannien vorstellig wurde und um ein Spiel bat. Für 90 Minuten mal alles vergessen – das muss doch erlaubt sein, gell? Gemacht:
Schnee auf dem Teppich, Schieri-Gespann. Das Spiel selbst ist tatsächlich schnell erzählt:
Alle Beteiligten hängten sich enorm rein, stellten ihre Schnellkraft zur Schau (aus Boxhagen fanden sich 13 Zugucker ein) und boten eine hübsche Schlacht. Läuferisch exquisit und mit pochenden Herzen klöppelten alle Sportler einen Blumenstrauß in diesen Sonnabend und wurden der Überschrift „Spitzenspiel“ meist gerecht. Tinto hatte übrigens im Vorfeld einige Absagen zu verkraften – stellte sich allerdings wie selbstverständlich-jammerlos dem eigenen Anspruch („Habe ich einen breiten Kader, habe ich immer die beste Mannschaft auf dem Platz!“) und nahm die Problematik proaktiv an. Das ist der Bewunderung würdig und die Traktoristen holten -zumindest für den heutigen Tag- wirklich alles aus sich heraus. Merke: die Saison ist lang und Training ist die Substanz der Unternehmung; Spiel die Belohnung. Heureka.
Mit auf der Egge: Polo, Konstanz ©, MatzeDonier, Coronas Rippe, Kollege BolzHauer, Achilleus, Grinsekatze, Kannibale, der Zinn-Ober, Zar; zudem: Ribisel, ganz kurz De Bräune, Jakob sowie Debütant Ben. Eiserne Reserve zum wiederholten Male der „Sir Weiwel“.
Resümeeh: Traktor verlor das Spiel gerechterdings – zu wenig gewonnene Zweikämpfe, selten klare Struktur im Aufbau, Unsicherheiten in der letzten Kette, eine nicht zu verhehlende Fehlpass-Quote und ergo zu wenig eigene Chancen. Lions (2x Yellow) ihrerseits viel spritziger im Esprit-Bereich, kompakter in der Organisation, ruhiger im Hirn. Verwandelten die durchaus vorhandene Energie der Boxhagener in ihre eigene und konnten nach einem Doppelschlag rund um Minute 20 diszipliniert dem Lauf der Dinge harren; spielten dann konsequent die Zeit über die Bühne ihrer Vorstellung.
Ihre Sportreduktion wiederum, lieber Leserin, darf an dieser Stelle den Britanniern zu einem verdienten Sieg gratulieren. Und zitiert gerne die Sphinx, welche innerhalb eines spontanen Interviews nach dem Spiel plauderte: “Verlieren will gelernt sein.“ Recht so, klasse Haltung. Alle Beteiligten verabschiedeten sich insofern nach Abtröte artig voneinander und verliehen der Sache einen würdigen Rahmen… Nebenbei bemerkt ging der heurige Punkt in Sachen Trainerwesen deutlich an Herrn Berkholz von den Lions – Herr Pupetta aus Boxhagen wird wissen, an welchen Baustellen er und seine Weinroten zu arbeiten haben wird. Nette Typen, alle beide. –
Schlußendlich gebot der MatzeDonier, dieser Anführer in antiker Gestalt, seinen Traktoristen: „Morgen treffen wir uns alle bei Omi Kron und backen Plätzchen!“ Und da sitzen sie nun jetzt, mandelnebelumweht, kerzenscheinverzückt, gedankenentrückt. Am Fuße der Schürze von Omi Kron im 3. Hinterhof, auf knarzenden Dielen. Erinnern sich an ihre Zukunft und polken die Glut aus ihren Äuglein.
Wir aus Ihrer Sportreduktion schließen uns an und rufen Ihnen da draußen ein „Frohes Fest – bleiben Sie gesund und heiter!“ zu. GlückAuf, Ihr Theo Retisch.