KulturJut Neun

„Marx oder Bernstein?“ Det ist hier die Frage.
 
Da is ma doch een Steen vom Herzen jefalln! Für meene kleenen Arbeeter-Jeschichten, als der linke Parteichef off ’n Erfurter Parteitag, am 23. Oktober 2011, vakündete: „Meine Partei
steht in der Tradition der Arbeiterbewegung.“ Ick dachte ja schon, nach de „Mauer“- und „Castro“-Diskussion und det „JW“-Debakel, de Linken wolln mit jar nüscht Verjangenem mehr zu tun haben. Meene punktuelle, historisch anjehauchte, Schussfahrt is natürlich holprig und scherenschnittartig, und ick hab wohl üba mehr nüscht gesacht, als det, wat ick jesacht hätte, wenn ick jetze een Jahrhundert weiter rücke, wern wa doch off dieset oda jenet noch mal zu sprechen komm’…
Deutschland is im 19. Jahrhundert eene Nation jeworden und hat sich industrialisiert, de überschüssijen Knechte, Mägde und verarmte Handwerker zogen zu den wachsenden Industriestandorten und wurden Arbeeter, die nüscht mehr haben als ihre Arbeetskraft, die se verkoofen müssen. Der Mär vom „Juten Unternehmer“, den det früher jab, würd ick jerne die
These entjejenstellen: Det det immer Jründe der Profitmaximierung hatte, wenn anscheinend wat für de Arbeeter raussprang. Is‘ aller technischer und wirtschaftlicher Fortschritt nur dem
Streben nach Profit jeschuldet? Ihr sozialet Elend zwingt de Arbeeter, sich weltweit als politische Klasse zu vasteh’n und politische Vereinijungen zu jründen, mit politische Führer. So unter anderen Ferdinand, August, Willem und Kalle und Fritz jeben de Richtung vor; analysieren den Kapitalismus und erklären, det de Ausbeutung der Proletarier und aller Besitzlosen durch de bürgerlichen Fabrikbesitzer und de adligen Landjunker allene durch eene Sozialrevolution zu überwinden is.
De jewachsene Wirtschaftkraft weckt ooch neue Profitinteressen. Es entstehen Monopolbetriebe, Kartelle, de B a n k e n w i r t s c h a f t. Dem Maximalprofit sind jedoch Jrenzen jesetzt, und de deutschen Imperialisten merken, det se keene Kolonien haben, wo sich unjeheuer jut Kapital vermehren lässt. („Kapitalexport“) Se bejinnen, sich mit den alten Kolonialmächten anzulejen (aba jejen de Völka, off die set abjesehen haben, ooch zu vabünden, wenn et sein muss) und setzen dabei zuallererst off’n Flottenbau.
Vor allem in der Illegalität während des Sozialistenjesetzes schaffen sich de Arbeeter Chöre, Sport- und Bildungsvereine. Aba Marxens manifeste Forderung bleibt Offjabe: „Proletarier
aller Länder, vereinigt euch!“ Denn de Proletarier sind bei weitem keene homogene Masse. Christlich geprächte Arbeeter sind in de christlichen Jewerkvereine und stützen de
Wählerschaft der Zentrums-Partei. Um de Jahrhundertwende is de SPD stärkste Kraft bei de Wahlen. In eenen Parlament, det imma noch dem Kaiser verpflichtet is. Als entschiedenste
jesellschaftliche Kraft trat de Arbeeterklasse jejen de aggressive Expansionspolitik als auch jejen de Anjriffe des Staatsapparates off ihre Rechte und den ökonomischen Druck der
Unternehmer zur Verschlechterung ihrer Lebenshaltung off. Stück für Stück erreichen z. B. de „Freien Gewerkschaften“ durch zähen Kampf zur Jahrhundertwende jewisse Verbesserungen.
De jroßen Monopolbetriebe brauchen neue Mitarbeiterschichten, wie Meesta, Offseher, Verwalter aus’m Lohnproletariat und ooch aus de stetig wachsenden Strukturen der Arbeeterbewejung, off politischer Ebene, off de Jewerkschaftseben, und ooch aus de Arbeeter-, Kultur- und Sportbewejung wächst eene „Arbeeteraristokratie“ heran, die sich von
ihren proletarischen Wurzeln entfernt und schnell kleinbürjerliche Denk- und Verhaltensweisen ausprägt. So musste sich de SPD 1899 off ihrem Parteitag in Hannover mit
revisionistischen und reformerischen Haltungen auseinandersetzen, und da muss ick Eduard Bernstein nennen: Am 6. Januar 1850 in Schöneberg jeborn und am 18. Dezember 1932 ooch
dort jestorm. Zusammen mit Karl Kautzky entwarf Bernstein 1891 noch det marxistische „Erfurter Programm“ der SPD. Im Revisionistenstreit, den Bernstein Mitte bis Ende der
1890er Jahre vom Londoner Exil aus ausjelöst hatte, vertrat er jedoch de These, det de bisherige Ausrichtung off Klassenkampf und Abschaffung des Kapitalismus durch die Realität
überholt sei. Der hätte sich als krisenfest und anpassungsfähig erwiesen, so det de SPD nur im Rahmen der bestehenden Produktionsweise durch Sozialreformen Verbesserungen für de
Arbeeter und eine allmähliche Angleichung des Lebensstandards erreichen könne. Wie heutig! Wie heutig!
Übrijens: De Definition des Proletariats war zu Marx‘ Lebenszeit überwiegend off Fabrikarbeiter jemünzt, schließt aba prinzipiell alle ein, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich oder überwiegend nur durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft verdienen können. Damit sind ooch die heutijen größeren Gruppen von Arbeitskräften wie Angestellte, Beamte, ja sogar angestellte Betriebsleiter, die Funktionen von Kapitalisten ausführen, per Definition Proletarier und zumindest heute die mit Abstand größte Klasse. (wenn det die „Occupy“-Bewejung begreift. Au weia!)
Aba bis Grejor 2011 alle mit ins Boot holen wird („Reformer und Radikale“), wird noch ’n janzet Jahrhundert mit Spaltung der Arbeeterklasse und Krieg und Leid und Teilung
vorüberjehen. Aba et wern ooch unsere Jroßeltern jeborn und de Eltern. Und die kriejen det denn u. a. mit Arbeeterführern zu tun, die ihre Wurzeln noch im 19. Jahrhundert ham. 1870
wird Wladimir Iljitsch Uljanow jeborn; 1878 Jossif Wissarjonowitsch Dschugaschwili und 1889 Adolf Hitler. Im 20. Jahrhundert wern dann ooch de meesten von euch jeborn! Und eure
und meene janz eijene Jeschichte bejinnt, na und Arbeeter-Fußball wird ooch endlich jespielt!
Aba für de Spielpausen würd ick ma an eure Stelle ruhig mal Marxens und Engels‘ Schriften
hinlejen, wie z. B.:
                             Kapi – T – al
                           Grund – R – isse der politischen Ökonomie
Die Entwicklung des Sozi – A – lismus von der Utopie zur Wissenschaft
 Die heilige Familie, oder – K – ritik der kritischen Kritik
                         Manifes – T
                              The – O – rien über den Mehrwert
                  Ludwig Feue – R – bach.
… äußerst t r e n d y, meint:
Heli Lichtstral
13. November 2011