22.11.19 | Traktor Boxhagen – Berliner Jungs II 6:5 (4:3)

Innerhalb des Caputes XI der Fussball-Rock-Oper „Der Ei-Sprung des Briganten“ wurde an diesem Freitagabend die Handlung ihrem ersten absoluten Höhepunkt zugeführt: die Phase des Adagio ist nun vorbei, zarte dramaturgische Zuckungen wurden durchlebt, die Einführung in und das Schildern von Ausgangswerten sind weitergeleitet worden in die Szenen der Zuspitzung; die ersten Konflikte wurden ausgetragen. Es befinden sich die Akteure, das Orchester/Ensemble und die Zuschauer nun inmitten des Themas: was ist Verantwortung, welcher Baustein fürs Ganze bin ich als Teil dessen, welche gruppendynamischen Prozesse erkenne ich und bereichere sie; ist etwa der Zufall der Meister meiner kurzen und kargen Existenz auf Erden oder kann ich vielleicht doch den Lauf der Dinge etwas beeinflussen? Na, die Boxhagener erkennen mittlerweile zumindest, dass sie kein zusammengewürfelter Haufen von Hobbyisten sind, sondern tatsächlich die Chance haben, manchmal in ihrem Leben die Hauptrolle zu spielen. So geschehen innerhalb der sportlichen Auseinandersetzung mit dem geschätzten Gegner aus Weißensee. Wie folgt.

Tinto mit folgendem Aufgebot: Polo, Gattuso, Surfer ©, Trude Unruh, Ribisel-Konstanz, Grinsekatze-Läufer, Sokrates, Kannibale-Tokajer. Wechsler waren die Sphinx, der Kollege BolzHauer sowie Tony.

Ein munteres Geklirre von Zimbeln und Schalmeien hob an, ächzend schoben sich Bass und Pauke durch den Hauffgrund, eilig blätterten die Musikanten ihre Notenblätter um und schauten öfter gar entgeistert zu ihrem Dirigenten hoch: Wo sind wir? Was erleben wir? Ist das schon Improvisation jetzt oder schrieb der Librettist vorher den Text noch um? Verwirrung der Gefühle, Anarchie im Alltag…

Einsnulle durch den Tokajer nach 9 Minuten (Vorarbeit des Läufers technisch raffiniert eingehoben). Gäste immer gefährlich und die Fehler in Traktors Verteidigung häuften sich; vorne war das gut bei Boxis, hinten teils unentschlossen und wenig abgesprochen. Trotzdem markierte der Kannibale per Penalty in Minute 20 das 2:0 und erst jetzt kam es, wie es kommen musste: die Jungs II schossen hintereinanderweg 3 Tore (gerne auch per Rübe) und nutzten die fehlende Ordnung in Tintos Süden gnadenlos aus. Spiel gedreht, Faszination auf den Traversen (wieder 20 Zugucker).

Charakter war gefragt und ein Traktorist, seit Wochen schon in bestechender Form, übernahm nun die Verantwortung und schwang sich zum Zeremonienmeister und Antreiber auf – die Grinsekatze nämlich. Bediente zweimal nach außerirdischen Soli jeweils den Tokajer und Kannibalen, welche sich kaltschnäuzig zu vollenden in die Lage gebracht hatten. Heimcombo mit der lütten Halbzeitführung.

Kurz nach Wiederantröte (Herr Buchholz leitete gut und hatte mit beiden fairen Truppen wenig Mühe) gelang dem Tokajer per Abstauber sein Drittes und Boxhagener segelten nun mit einem 2-Tore-Polster in die Nacht. Sicher, es gab hüben wie drüben kleine Aufgeregtheiten -bspw musste Polo in der 65.min per großem Onkel klären oder aber der Tokajer verhinderte durch zuviel Baisser auf dem Fuß einen sicheren nächsten erfolgreichen Einschlag bei den Gästen-, grundsätzlich jedoch zweifelte niemand am Heimsieg von Traktoristen. Außer die hellblauen Angereisten! Jene nämlich entfachten in der letzten Viertelstunde ein wahres Feuer aus Gier und Leidenschaft; drückten Tinto an deren 16er und starteten eine Offensive, wie sie bisher nur selten im Schönen Hauffgrund gesehen wurde, alle Wetter! Lohn waren ein lässig verwandelter Faul-Ölwa (die Sphinx recht ungeschickt im Zweikampf, 85.) sowie in allerletzter Minute gar der Ausgleich: einer von vielen diagonalen Schlagbällen landete hinter der Traktor-Abwehr und der wieselflinke und grundsympathische 15er nahm die Murmel technisch einwandfrei an, umkurvte Polo und legte ein. Riesenjubel bei den Gästen, Schockstarre in weinrot. Und es folgte tatsächlich noch ein letzter Höhepunkt: in allerletzter Sekunde schon verfügten die Jungs über eine brillante Possibilität und hätten das Ding eigentlich gewinnen müssen; allein das Spielgerät wurde aus unerklärlichen Gründen hauchzart an der linken Stange vorbei gelegt. Halleluja!

Draußen unterdessen bogen sich die Leiber, Bier flog in Höhe der Hüfte durch die Lüfte, Entsetzen paarte sich mit Hoffnung – die reine Extase; selbst abgebrühteste Stoiker schüttelten ungläubig  ihr Haupthaar. Allein: das aktuelle Remis wäre salomonisch betrachtet gerecht gewesen, niemand hätte sich beschweren brauchen. Und was übrigens muss das erst für die Spieler gewesen sein…nervend?!

Also wenn wir, lieber Leserin, die teils gespenstische Szenerie, diese emotionale Achterbahnfahrt, diese Kakophonie mit einem Wort beschreiben sollen – bitte schön, es gibt diesen Begriff durchaus: EPISCH! –

Und dann, in der 3. Minute der Nachspielzeit, nun wirklich in allerletzter Sekunde, geschah das Wunder, das geplante: beide Innenverteidiger, in völligem Bewusstsein ihrer Verantwortung, rutschten hinten von ihrem Thron, arbeiteten per Freistoß und Kopfballabnahme (Siegtreffer durch Kapitän Surfer) wunderhübsch zusammen und machten die Manege zum Amphitheater; machten den Moment zum Monument. Dieser Augenblick, und um nichts weniger handelte es sich, war „Der Ei-Sprung des Briganten“.